Wie können Lernende in einer KI-geprägten Welt als handelnde Konstrukteur*innen ihres eigenen Lernens auftreten?
Ein Impulspapier von Teilgebenden der edunautika
1. Hintergrund
Die Edunautika ist ein Barcamp zu zeitgemäßer Pädagogik im digitalen Wandel. Sie bringt reformpädagogische Akteur*innen aus der digitalen Bildung zusammen, um gemeinsam Fragen und Antworten zu guter Bildung zu entwickeln. Bei der diesjährigen Edunautika haben wir über Künstliche Intelligenz (KI) in der Bildung reflektiert. Wir haben festgestellt, dass die KI-Debatte in der Bildung aus unserer Sicht - nach einer kurzen Zeit des offenen Erkundens und Ausprobierens - aktuell in eine falsche Richtung geht. Bestehende Formen der Bildung werden zementiert, anstatt die KI-Debatte als Impuls zu nutzen, um Bildung neu und anders zu denken und zu gestalten. Auch viele Ansätze, die das Thema Lernkultur in den Blick nehmen und beispielsweise KI-Technologie als individuelle Lerntutoren vorschlagen, greifen aus unserer Sicht oft nicht weit genug. Andere Bildung, wie wir sie gestalten wollen, muss Offenheit und Freude am Lernen ermöglichen, demokratisches Lernen fördern, Sinnhaftigkeit und Ernsthaftigkeit beim Arbeiten an selbstgewählten Aufgaben ermöglichen und Lernende in diesem Sinne zu handelnden Konstrukteur*innen ihres eigenen Lernens machen. Dazu benötigen Akteur*innen Wissen, Skills, Werte und Haltungen, die ein fortwährendes und selbstbestimmtes Lernen ermöglichen. (siehe auch OECD Lernkompass 2030).
Vor diesem Hintergrund veröffentlichen wir das folgende Impulspapier. Wir stellen darin vor, woran wir vor allem festmachen, dass KI in der Bildung aktuell oft verfestigend statt verändernd aufgegriffen wird. Und wir formulieren erste Impulse, wie es auch anders gehen könnte. Wir orientieren uns dabei vor allem auch an reformpädagogischen Ansätzen und reflektieren, wie sich auch diese weiterentwickeln können, um weiter als Vorbild und Impulsgeber für Veränderung zu wirken.
2. Wie funktioniert es nicht?
Es gibt aus unserer Sicht zahlreiche Aspekte, wie KI in der Bildung verfestigend statt verändernd wirkt. Bei den folgenden Aspekten wird das besonders offensichtlich:
2.1 KI als Verfestigung der Aufgabenabarbeitung
Im Kontext der KI-Debatte entstehen neue Arten von Aufgabenstellungen. Das kann erstens so aussehen, dass KI-Technologie genutzt wird, um effizienter mehr und vielleicht auch vielfältigere und individualisierte Aufgaben zu generieren. Zweitens wird KI selbst zu einer neuen Aufgabe: Lernende bekommen Aufgaben gestellt, die sie mit bestimmten KI-Tools auf eine vorgegebene Art und Weise erledigen sollen, die dann von KI kontrolliert und mit einem Feedback versehen werden. In beiden Fällen wird aber das Konzept einer Aufgabe an sich nicht hinterfragt, sondern verfestigt.
2.2 KI als Fortführung der Fremdbestimmung im Kontext von Wissenserwerb
Eng mit dem Konzept der Aufgaben ist das Prinzip der Fremdbestimmung verbunden. Es gibt einen feststehenden Wissenskanon, der von Lernenden auswendig gelernt werden soll. Ob und wenn ja, wie erfolgreich die Vermittlung war, wird dann mithilfe von Prüfungen kontrolliert. Im Kontext von KI wird dieses Verfahren nicht hinterfragt, sondern KI-Technologie wird dazu genutzt, um diesen Wissenserwerb einfacher zu organisieren und feinmaschiger kontrollieren zu können. Auf Seite der Lehrenden gestalten KI-Tools vor diesem Hintergrund Lernpläne und - wie oben dargestellt - die benötigten Aufgaben. Für Lernende gibt es Tutorsysteme, die sie Schritt für Schritt durch diesen Wissenswerwerb führen sollen.2.3 KI als starres Gerüst zum Lernen
Starre Vorgaben führen zu starren Prozessen - bei Lehrenden und Lernenden gleichermaßen. Ein Gerüst funktioniert nur für festgelegte Produkte; anschließend wird ein Gerüst wieder abgebaut. Im Kontext von Bildungsplänen erscheinen Gerüste daher als unflexibel und sich den ändernden Prozessen nicht anpassbar. Im Kontext von KI wird - anstatt Bildung und Lerngestaltung zu öffnen - aktuell nach neuen und weiteren Gerüsten gesucht und diese werden für Schulen und weitere Bildungsinstitutionen entwickelt.2.4 KI als Tendenz zur Orientierung auf Lernprodukte
KI ist in der Lage, Produkte zu erstellen, die von professionellen Produkten kaum noch zu unterscheiden sind. Lehrende und Lernende sind von diesen Möglichkeiten verständlicherweise oft sehr begeistert. Damit einher geht aber dann oft die Tendenz, möglichst coole Ergebnisse zu erhalten. Es wird dabei vergessen, dass für Lernen nicht das Ergebnis, sondern der Prozess das Entscheidende ist.2.5 KI als unangemessene Vereinfachung
Die zentrale Perspektive auf KI ist gesamtgesellschaftlich eine Perspektive der Erleichterung. Maschinen sollen Menschen Aufgaben abnehmen. Diese Perspektive überträgt sich auch auf die Bildung. Lehrende und Lernende verbinden mit KI häufig die Hoffnung, dass Lehren und Lernen einfacher werden kann. In einer komplexen, widersprüchlichen und vernetzten Welt werden aber ganz im Gegenteil veränderte Kompetenzen erforderlich.3. Wie könnte es anders und besser funktionieren?
Wir haben noch keine fertigen Antworten, wie wir im Kontext der KI-Debatte andere Bildung gestalten können, aber wir möchten erste Überlegungen und mögliche Ansätze, die uns zielführend erscheinen, aufschreiben.3.1 KI als Erkundungsmöglichkeit
Offene Erprobungsräume mit der Integration von gemeinsamen Reflexionszeiten schaffen ein Verständnis dessen, was KI für Lernende sein kann und was nicht. Außerdem unterstützt eine spielerische Gestaltung nachhaltige Lernprozesse. Lernende werden so nicht nur in die Lage versetzt, mit Neugier in einer Kultur der Digitalität zu agieren, sondern dieses auf Dauer auch selbstständig, kritisch und kompetent zu tun.3.2 KI als Perspektive von Agency
In einer sich schnell wandelnden Welt wird die Fähigkeit, gute Fragen zu formulieren, immer wichtiger. Denn nur über die Entwicklung von Fragen kann man ergebnisoffen an Gestaltungsprozesse herangehen, deren Ergebnis noch nicht von vornherein feststeht. Im Umgang mit KI denkt man verstärkt über Fragen statt über Antworten nach, da guter Output nur erreicht wird, wenn gut formuliert werden kann, nach was man überhaupt auf der Suche ist. Darin liegt grundsätzlich ein großes Potential. Dieses Potential wird allerdings verspielt, wenn Lernenden Prompts, Ziele und Vorgehensweisen vorgegeben werden und ihre Gestaltung somit nicht Teil der Herausforderung ist. In diesem Fall werden Lerneffekte im Vergleich zum klassischen Unterricht sogar noch weiter minimiert. Stattdessen sollte bei der Nutzung von KI und insbesondere auch beim Promptengineering ein offener und erprobender Ansatz genutzt werden.3.3 KI als Gestaltungsmittel eines Lernraums
Gutes Lernen geht von den Lernenden aus und ermöglicht ihnen, basierend auf ihren eigenen Fragen, Bedürfnissen und Herausforderungen, ihre eigenen Lernprozesse zu gestalten. Dazu braucht es Lernräume, die Lehrende gemeinsam mit Lernenden gestalten, so dass diese darin dann selbst und auch gemeinschaftlich aktiv werden können. Dieser Lernraum muss offen gestaltet sein. Die Ergebnisse des Lernens dürfen nicht vorab feststehen. Im Kontext von KI bedeutet das, dass die konkrete Nutzung der Technologie nicht von einengenden Aufträgen der Lehrkraft abhängen sollte. Stattdessen müssen Lernende entscheiden können, in welchem Kontext sie KI zur Unterstützung ihrer Lernprozesse in welcher Form nutzen.Auf administrativer Ebene bedeutet das für schulische Bildung, dass zeitgemäße Bildungspläne inhaltliche Rahmen schaffen dürfen, innerhalb derer sich Lernende Schwerpunkte setzen. Das Produkt (Lernkontrollen, Klausuren, Präsentationen etc) darf ebenso wenig festgelegt werden wie die konkreten Inhalte des Produkts. Diese Festlegungen finden in der Lebenswelt nach der Schule zunehmend keine Anwendungen mehr. Lernende müssen befähigt werden, sich Themen in gegebener Zeit anzueignen. Der Rahmenplan muss daher ein Kompetenzrahmen sein.
3.4 KI als Ermöglichung von Prozessorientierung
Lernen findet im Prozess statt. Vor dem Hinblick der KI-Debatte ist vor diesem Hintergrund nicht das generierte Produkt entscheidend, sondern die Erstellung und Verfeinerung der Prompts, das Zusammenstellen des Materials, die Nutzung und Einordnung der Rechercheergebnisse, Die Auswahl von Bildern, die Nutzung von Daten ... nicht das, was die KI dann im Ergebnis daraus dann erstellt. Vor diesem Hintergrund ist gerade auch im Kontext von KI die Dokumentation des Lernprozesses mit anschließender oder begleitender Reflexion gewinnbringend für sämtliche darauf folgende Lernprozesse und ganz im Sinne des lebenslangen Lernens. Dazu gehört auch eine positive Fehlerkultur.3.5 KI als technologische Hacking- und Gestaltungsperspektive
Um sich mit den sich stetig verändernden Grenzen von KI-Tools kritisch auseinanderzusetzen, erscheint die bewusste Suche nach diesen Grenzen lohnend. Dazu gehört neben Strategien zum Erstellen weiterführender Prompts auch ein Verstehen für maschinelles Lernen, das in spielerischer Auseinandersetzung erworben werden kann. Last but not least benötigen wir auch einen gestaltenden, erkundenden und spielerischen Blick auf die KI-Technologie selbst. Anstatt nur wenige Tools (und hier meist die von großen Unternehmen) in den Blick zu nehmen, kann und sollte KI vor allem auch als eine sehr spannende und gestaltbare Technologie verstanden werden. Im Kontext einer offenen Netzkultur gibt es hier sehr viele (oft unfertige und chaotische) Ansätze, die ausprobiert oder zum Teil auch mitgestaltet werden können. Eine gute Anlaufstelle ist hierfür beispielsweise die Plattform HuggingFace, auf der Programmierer*innen ihre Experimente und Toolversuche präsentieren, um gemeinsam daran weiter arbeiten zu können. So findet man dort beispielsweise alternative Versuche zur Gestaltung von Prompts oder auch ganz viel Spielerei.4. Fazit
Wir teilen unsere Überlegungen in einer noch relativ unfertigen und in keinem Fall abschließenden Art und Weise. Unser Ziel ist es, zur Reflexion und zum Weiterdenken anzuregen. Wir freuen uns auf weiteren Austausch dazu.
Hamburg, 21. April 2024
Ina Samel, Christian Vanell, Philipp Radau, Kerstin Mönnikes, Annekathrin Buck, Ines Moegling und Nele Hirsch
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